Zitat von Sinaris
Eigendlich habe ich nach Beispielen gefragt. Welche solcher Notwendigkeiten meint Ihr denn? Das sind Beschreibungen die man wieder interpretieren kann. Was ist für Euch klar benannt eine oder gern auch mehrere konkrete Notwendigkeit(en) in die Ihr Einsicht habt?
Sinaris,
Es gibt verschiedene Kategorien von Notwendigkeit.
1. Logische Notwendigkeiten: Ich bin nicht frei, etwas zu tun und es gleichzeitig zu lassen. Wie die Englander sagen: "You can't have your cake and eat it." Ich habe auch nicht die Freitheit, mich die Hälfte des Tages mit Arbeit zu beschäftigen, die Hälfte des Tages zu schlafen und die Hälfte des Tages der Freizeit zu widmen, so gerne ich das auch täte. Sehe ich das ein, und teile ich den Tag in Dritteln ein, so bin ich frei, meine Zeit einzuteilen. Ich bin auch nicht frei, zu heiraten und Junggeselle zu bleiben, obwohl beide Lebensmuster ihren Reiz haben.
In diesen Fällen besteht die Freiheit lediglich darin, eine von zwei sich logisch ausschließenden Möglichkeiten wählen zu dürfen.
2. Biologische Notwendigkeiten: Atmen, Essen, Trinken, Schlafen, Schutz vor Hitze und Kälte sind Notwendigkeiten. Und sie ziehen sekundäre Notwendigkeiten hinter sich: Kochen, Bier holen, Betten machen, Häusle bauen, und/oder Geld verdienen, um mir diese Leistungen zu kaufen. Auch die Reproduktion und Kindererziehung, weil ich jemanden brauche, der all das macht, wenn ich zu alt dazu bin.
Erkennen wir diese Notwendigkeiten nicht an, sind wir bald tot, und die Sache mit der Freiheit hat sich erledigt (zumindest für diese Existenz!)
3. Physikalische Notwendigkeiten: Schwerkraft, Statik, Mechanik, Aerodynamik, Hydraulik, etc. also Notwendigkeiten, die durch Naturgesetzte vorgegeben sind. Ich bin nicht frei, ein Haus mit Dach aber ohne Wände/Säulen zu konstruieren, oder die Segelfläche eines Bootes beliebig groß zu machen.
Ich denke, die meisten betrachten solche Faktoren eher als "Gegebenheiten" denn als Notwendigkeiten.
4. Sachlich bedingte Notwendigkeiten: Wenn ich Sonntags etwas essen will, dann ist es notwendig, Samstags einkaufen zu gehen. Wenn ich gut ausgebaute Autobahnen haben will, ist es notwendig, dass ich entsprechende Steuern entrichte.
Von solchen Notwendigkeiten kann ich mich befreien, indem ich die Premisse negiere: wenn ich Sonntags nichts essen will, dann brauche ich Samstags nicht einzukaufen; wenn ich nicht Auto fahren will, brauche ich keine Kfz-Steuer zu entrichten.
Allerdings unterliegt die Prämisse wieder der logischen Notwendigkeit: entweder will ich Sonntags essen, oder ich will es nicht; entweder will ich Auto fahren, oder ich will es nicht.
Diese Kategorie ruft die meisten Diskussionen vor, weil sie schwammiger ist als die ersten drei. Ich kann mich befreien, indem ich anderswo durch eine freie Entscheidung die Prämisse ändere. Aber auch die Folge der Prämisse kann geändert werden. Das Tankstellenshop z.B. ist sozusagen ein Befreiungsschlag - denn seit es das gibt, ist es nicht Notwendig, das Sonntagsessen am Samstag einzukaufen. Tankstellenshops dürfen auch Sonntags Lebensmittel verkaufen! Andererseits gibt es Länder, die immer schon die Sonntagsöffnung von Lebensmittelläden erlaubten - eine Freiheit, die der Deutsche lange nicht kannte! Daran erkennt man, dass manche "Notwendigkeiten" nicht naturgegeben sind sondern mit willkürlich verabschiedeten Gesetzen zu tun haben. Man kann mit Fug und Recht sagen: "Ich sehe es nicht ein, dass ich Sonntags in Deutschland nichts zum Essen kaufen kann, wenn man es in anderen Ländern kann!" Und wo es keine Einsicht gibt, gibt es laut Hegel keine Freiheit. Andererseits mag einer argumentieren, dass das Personal im Lebensmittelhandel auch einen freien Tag (Tag der persönlichen Freiheit) in der Woche braucht - dann kommt mir (vielleicht) die Einsicht in die Notwendigkeit der Sonntagsschließung, und ich fühle mich (vielleicht) freier.
Blessings,
Greenman